Jules Verne in Familie Das Familienleben des Schriftstellers |
Quellen: /1/ Honorine Verne ca. 1860-65; Die Herkunft des Bildes ist für mich nicht nachvollziehbar /2/ Agnes Marcetteau-Paul
(Hrsg.): The World of Jules Verne;
City of Nantes, Association of Friends of the Nantes City Library 2001;
Bildzitat von Seite 15; Quelle CF /5725/, Bild CF /21143/ /3/ Stich Jules Verne mit Ehefrau Honorine in seinem Hof sitzend; keine Datierung und kein Künstler angegeben. Abgebildet auf Seite 199 in L'Illustration - Journal Universel Hebdomandaire; Nr. 3240, 1. April 1905; Paris; CF /6815/ /4/ Aus der Sammlung Volker Dehs: Familie Verne an der Steilküste von Petite Dalles im Jahre 1899. Ich danke für die Bereitstellung und die Möglichkeit der Nachnutzung auf meiner Seite. /5/ Eine interesanntere Aufnahme der Gäste
der
Einweihungszeremonie des Verne-Denkmals in Amiens. Zu sehen: In der
Mitte
Michel Verne, links seine Söhne und rechts seine Mutter. Foto von
Branger. Quelle: Mir
vorliegend aus der Zeitschrift Le Monde illustré Nr. 2720,
15. Mai 1909 von Seite 325. CF /21104/
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In den
gängigen Biografien wird meist das literarische Werden und Wirken des
Schriftstellers Verne beschrieben. Die biografischen Fakten hangeln
sich nach
Beschreibung der Jugendzeit, meist entlang der schöpferischen Phasen
oder der
publizierten Romane und des Bühnenschaffens. Eingebettet in diese
Darlegungen findet
man dort Details zum Privatleben des Autors. Ich habe dieses Private
aus den
vielen Biografien „herausgepickt“ und mit eigenen Einschätzungen
versehen, um
an dieser Stelle dem Leser das familiäre Leben der Vernes etwas näher
zu bringen.
Die richtige
Gelegenheit scheint sich endlich im Mai 1856 zu ergeben. Er
besucht die
Hochzeit seines Freundes Auguste Lelarge in Amiens und verliebt sich
dort in
die Schwester der Braut: Honorine-Anne-Hébé Morel. Die
sechsundzwanzigjährige Honorine
ist eine junge Witwe mit zwei Töchtern: Suzanne und Valentine. So ganz
ohne Bedenken
sieht er aber die kommende Beziehung nicht, denn in einem Brief an
einen Freund
schreibt er: „… Ach, warum nur hat sie zwei Kinder! Ich habe einfach
kein Glück!“.
Aber seine Zweifel lässt er beiseite, im Jahre 1857 heiratet er
Honorine ohne
großen Aufwand – Jules ist glücklich. Bild unten rechts: Honorine im
Jahre 1860 bis 1865 /1/. Ein paar Jahre
später, im Jahre 1861, kommt ihr gemeinsames Kind Michel zur Welt. Doch
der
inzwischen neben seiner Arbeit als Börsenmakler auch schriftstellerisch
tätige
Vater fühlt sich vom schreienden Nachwuchs oft gestört. Er hatte
inzwischen
einen anderen Arbeits- und Lebensrhythmus gefunden. Wie sich zeigt,
scheint er
nicht der geborene Familienvater zu sein. Der Sprössling entpuppt sich
als
regelrechtes Schreikind. Die Aufgaben in der Kindeserziehung sind klar
definiert:
Das ist Aufgabe der Frau, der Vater hält sich weitestgehend davon fern.
Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass es lange Zeit keine
richtige
emotionale Bindung zwischen Vater und Sohn gibt. Nachdem Verne
erfolgreich beim Verleger Hetzel als Hausautor zu arbeiten beginnt,
zieht man an
den Rand von Paris, nach Auteuil, um. Honorine beginnt ihr Leben als
Dame des
Hauses zu genießen und in dieser Rolle gefällt sie sich als
Gastgeberin. Dies
passt auch zu den Beschreibungen die es über sie gibt: Gepflegt im
Erscheinen
und im Umgang, mit Interesse am gesellschaftlichen Leben und einem Hang
zu den
Annehmlichkeiten des Lebens. Gerade ihre eleganten Umgangsformen stehen
öfters
im Kontrast mit dem manchmal sogar ruppigen oder arroganten Auftreten
ihres
Gatten. Dieses wird wahrscheinlich durch das gewachsene
Selbstbewusstsein des
Erfolgreichen gefördert. Seine jugendliche Schüchternheit hat er hinter
sich
gelassen. Die jetzt im Hause
Verne häufiger stattfindenden Empfänge und Gesellschaften nerven den
sich
profilierenden Schriftsteller und öfters gibt es darüber Dispute
zwischen den
Eheleuten. Dies wird auch dadurch gefördert, dass sich Jules zunehmend
vom
geistigen Niveau dieser Vergnügungsgesellschaft distanziert, während
Honorine doch
einfachere Ansprüche hat. Diese zur Schau getragene Überheblichkeit
basiert aus
meiner Sicht neben dem wachsenden Intellekt durch seine
schriftstellerischen Ambitionen
auch auf seine konservative Erziehung und seiner Einstellung zu Frauen.
Als er
1893 ein Mädchengymnasium besucht, bremst er die Erwartungshaltungen
der jungen
Frauen mit einer Rede aus, dessen Kernaussage in dem Satz gipfelt: „Sie
können
Ihre Geschicke besser lenken, indem Sie das familiäre Heim und den
häuslichen
Herd angenehm gestalten“. Vom selbstgewählten
Lebensumfeld ist Jules hin- und hergerissen. Einerseits sucht er auf
Reisen
Anregungen, steht im regelmäßigen Austausch mit seinem Verleger und
saugt alle
Arten von inspirierenden Neuigkeiten auf, gleichzeitig sehnt er sich
aber nach
Ruhe zum Schreiben. Das Großstadtleben begann Verne bei seinen
literarischen
Arbeiten zu stören und so verließ er im März 1869 mit seiner Familie
den
Pariser Raum und zog nach Le Crotoy, einem malerischen Fischerort am
Bai du
Somme an der Kanalküste. Inzwischen hatte man sich das kleine Boot Saint Michel zugelegt, welches unweit der Wohnung im Hafen liegt. Aber trotz der Schiffstaufe auf den Namen des gemeinsamen Jungen, ist die Welt nicht so heil wie sie von außen erscheinen mag. Michel ist öfters der Anlass zu Streitigkeiten zwischen den Eltern, denn der störrische Knabe nutzt den Widerspruch zwischen dem streng erziehenden Vater und der leicht lenkbaren und nachsichtigen Mutter. In dem kleinen und überschaubaren Ort wird Michel inzwischen der Schrecken von Le Crotoy genannt. Bild rechts: Michel im Jahre 1870 /2/. So ist Vernes immer öfters
gewählter Aufenthalt an Bord seines Bootes nicht nur der Inspiration
zum Roman 20.000
Meilen unter den Meeren geschuldet, es ist auch eine Flucht aus dem
Familienleben. Nach zwölf Jahren Ehe beginnt es bei den Vernes zu
kriseln. Während
sich Jules auf den Wellen der Somme oder des Kanals wiegt, langweilt
sich seine
Frau Honorine fast zu Tode. Dazu kommt,
dass Verne ständig zu Abstimmungen bei Hetzel nach Paris fährt, was
seine Frau
zu einer Beschwerde beim Verleger veranlasst. Was Honorine nicht ahnt:
Verne scheint
teilweise sogar konstruierten Anlässe zu nutzen um nach Paris zu
reisen. Vermutet
wird, dass er dort Liebschaften nachgeht. Einige Biografen sprechen von
Seitensprüngen,
andere halten sie für hypothetisch. Unabhängig davon ist die Ehe der
Vernes offenbar
in einer Phase, in der sich das häusliche Liebesleben abgekühlt hat.
Ohne weiter
über Affären zu spekulieren: die Alibis die Hetzel lieferte, sind auf
jedem
Fall nachweisbar. Vielleicht sollte man an dieser Stelle bemerken, dass
es dem
Sittenbild der damaligen Zeit entsprach, dass die Frau sittsam zu Hause
bei
Herd und Kindern zu sein hatte, während sich der Gatte ohne moralischen
Dissens
mit den Regeln der Kirche und dem Selbstverständnis der Herrenwelt
„amüsieren“
konnte. Mit
Ausbruch des Krieges 1870 zieht seine Familie in das Haus der
Schwiegereltern nach
Amiens und Jules wird Küstenwächter in Le Crotoy. Wiederum benutzte er
die Zeit
der Ruhe und des Ungestörtseins zu eifriger schriftstellerischer
Arbeit.
Während der Besetzung Amiens durch preußische Truppen hält sich Vernes
Familie,
also Honorine mit Sohn Michel und den beiden Töchtern aus erster Ehe,
bei Jules
Eltern in deren Sommerhaus in Chantenay auf. Nach Friedensschluss im
Jahre 1872
zieht Verne gemeinsam mit seiner Familie endgültig nach Amiens. Der dort auch
im Stadtrat wirkende Verne ist inzwischen ein erfolgreicher Autor
geworden und eine
bekannte Persönlichkeit. Diese Seite der Entwicklung stößt bei Honorine
auf
Wohlwollen, hebt es doch auch ihre gesellschaftliche Position.
Höhepunkte des
gesellschaftlichen Lebens dieser Zeit sind die von den Vernes
ausgerichteten
Kostümbälle. Beim größten Ball gibt es bis zu 350 Besucher. Ein
Ereignis
welches es selbst in überregionale Zeitschriften schafft, die Provinz
ist
begeistert. In der Rolle als Gastgeberin gefällt sich Honorine. Dabei
zeigt
sich auch eine andere Eigenschaft von ihr: sie wird von anderen gern
als
despotisch im Umgang mit anderen Menschen und in der Haushaltsführung
beschrieben. Dies zeigt sich auch in dem Umstand, dass Madame Verne
regelmäßig
neue Haushälterinnen benötigt. Der
heranwachsende Sohn Michel besucht jetzt das Gymnasium und der Umgang
mit ihm
wird immer schwieriger. Schon als kleinerer Junge machte er Probleme,
inzwischen wurde er immer starrköpfiger und alle Erziehungsversuche
prallen an
ihm ab. Negativer Höhepunkt dieser Entwicklung ist ein achtmonatiger
Aufenthalt
Michels in einer Erziehungsanstalt. Aber der Junge wird immer labiler
und um Schlimmstes
zu verhindern, vor allem um ihn vor sich selbst zu schützen, wird er
zurück in
die Familie geholt. Die jetzt entstandene Situation ist für Jules
Anlass sich noch
mehr hinter der Arbeit zu verkriechen. Nach 1876 gibt
es eine weitere Eskalation: Der fünfzehnjährige Michel hat angefangen
zu
Trinken und durch Spielen verschuldet er sich. Die gesamte Familie
Verne, also
Eltern und Großeltern, fühlen sich brüskiert. Im Familienkreis
entschließt man
sich zu drastischen Maßnahmen: Um Michel „auf den richtigen Weg zu
bringen“,
soll er für eine längere Zeit auf einen Indien-Fahrer gesteckt werden,
um an
Bord „diszipliniert“ zu werden. Vorsichtshalber lässt ihn die Familie
bis zur Abfahrt
in ein Gefängnis unterbringen. Eine damals durchaus praktizierbare
Lösung, die
heute nur Kopfschütteln verursacht. Als er 1879 von See zurückkehrt ist
ein spürbarer
Sinneswandel nicht erkennbar. Im Gegenteil: Sein Leben wird noch
ausschweifender und seine Schulden nehmen rapide zu. Der inzwischen
19jährige
heiratet ohne Zustimmung seiner Eltern die Sängerin Clémence-Thérese
Taton, die
er erst kurz zuvor am Muncipal Theater in Amiens kennenlernte.
Die beiden
ziehen nach Nimes, aber ihre Beziehung soll nicht lange anhalten. Damit
Michel nicht
in Armut abgleitet, erhält er vom Vater eine monatliche nicht
unerhebliche finanzielle
Zuwendung, die jahrelang gezahlt wird. Diese scheint vom Sohn aber als
Freibrief für sein haltloses Leben aufgefasst worden zu sein. 1883 gilt
die Ehe
von Michel als gescheitert, er selbst pflegt inzwischen den Umgang mit
einer Sechzehnjährigen,
mit der er nach Paris zieht. Die
Vernes sind
verzweifelt. Honorines Töchter brechen für immer mit ihrem Halbbruder
Michel
und die Beziehungen der Eltern zu ihrem Sohn sind auf einem Tiefpunkt.
Parallel
dazu ist Verne inzwischen am Zenit seines Erfolges. Nationale und
internationale Wertschätzung wird ihm entgegengebracht. Bei den von ihm
mit
seiner inzwischen angeschafften Dampfjacht Saint Michel III
gemachten
Rundreisen wird er in den Zielländern stets gefeiert. Dies genießt auch
Honorine. Besonders der Umgang mit Prominenten der damaligen Zeit, so
u.a. eine
Audienz beim Papst, Kontakte mit dem Hause Habsburg und lokale Empfänge
bei den
jeweiligen Regierungsvertretern oder Bürgermeistern unterstreichen ihre
eigene
Selbstwahrnehmung und auch Jules genießt die Popularität. Bild links:
Die Vernes in den 90er Jahren /3/. Das Jahr 1886
bringt einschneidende Veränderungen für Jules Verne. Der bis dahin vom
Glück Begünstigte
erhält mehrere harte Schicksalsschläge. Gleich zu Beginn des Jahres
muss er
sich von seiner Dampfjacht trennen. Das Schiff ist finanziell nicht
mehr zu
halten, was durch die Schulden seines Sohnes Michel noch beschleunigt
wird. Negativer
Höhepunkt sind Verbindlichkeiten von über 30.000 Francs aus dem
Scheitern eines
Industrieunternehmens, welches Michel aufbauen wollte. Dies führt zu
dem Ergebnis,
dass die Schulden des Sohnes höher sind als der Erlös aus dem Verkauf
der Jacht Saint Michel III. Aber es sollte noch
schlimmer kommen: Jules geistig verwirrter Neffe Gaston schießt ihm in
den Fuß
und jahrelanges gesundheitliches Leiden folgt darauf. Im gleichen Jahr
stirbt
sein Freund und Verleger Hetzel und im Folgejahr seine Mutter. Verne
trägt
schwer daran. In seinen Romanen spürt man das Nachlassen der Fantasie.
Er
kapselt sich zunehmend ab und zieht sich in das kleinbürgerliche Leben
von Amiens
zurück. Während er dort inzwischen Befriedigung in der Tätigkeit im
Stadtrat
findet, werden die gesellschaftlichen Aktivitäten Honorines immer
provinzieller.
Die Zeit der großen Bälle ist vorbei, inzwischen werden regelmäßig
kleine Kunst-
und Konversationsabende im Hause Verne durchgeführt. Diese finden bei
Jules nur
bedingt Zustimmung, meist langweilen sie ihn. Aber
es gibt eine andere Entwicklung:
Die Annäherung von Jules zu seinen Sohn Michel. Neben der Zunahme der
Kontakte
kommt es nach einiger Zeit zu einer Zusammenarbeit im literarischen
Bereich. In dieser Zeit beginnt eine Periode, in der Jules immer mehr
gesundheitliche
Probleme bekommt. Seine Reisetätigkeit stellt er fast komplett ein, nur
noch
kleine Ausflüge an die Kanalküste werden in Familie unternommen. Dort
in
Petites-Dalles sieht er 1890 zum ersten Mal seine Enkelsöhne. Bild
links: Am Stand von Petites-Dalles in Famlilie /4/. Inzwischen gibt
es auch Leiden bei anderen Mitgliedern der Familie: Vernes Bruder Paul
nimmt sich
das Attentat und die Krankheit seines Sohnes Gaston zu Herzen, der
inzwischen
in eine Anstalt eingewiesen wurde. Als dann auch die Lebensweisen der
beiden
anderen Söhne Pauls „aus dem Ruder laufen“, geht daran seine Ehe
zugrunde. Das Erlebte
mit den kleineren und größeren familiären Tragödien schweißt die Brüder
Jules
und Paul noch mehr zusammen. Aber das Schicksal meint es nicht gut mit
der Familie, denn im
Jahre 1897 stirbt Jules geliebter Bruder mit 68 Jahren. Ab Ende der
90er Jahre verlässt Jules Amiens überhaupt nicht mehr. Wie ein
Besessener
klammert er sich an seine Schreibfeder. Dabei wird er zunehmend von
Michel
unterstützt. Im hohen Alter hat Jules mit seinem Sohn Frieden
geschlossen. Im
Frühjahr 1905 stirbt Jules Verne, seine Frau Honorine folgt ihm fünf
Jahre
später. Rechts ein Bild von 1909: Die Witwe mit Familie /5/. Resümierend
erkennt man in dieser komprimierten Form, dass das Familienleben der
Vernes nicht
immer gradlinig und vorzeigbar stattfand. Der hochgeschätzte
Schriftsteller und
seine Angehörigen waren nämlich vor allem eins: Menschen mit allen
Facetten des
wahren Lebens. Nachbemerkung: Diese
Ausarbeitung konnte ich nur vornehmen, weil ich als Basis die
umfangreichen Recherchen
der Autoren Volker Dehs, Ralf Junkerjürgen, Herbert R. Lottmann, Jean
Jules-Verne, Marguerite Allotte de la Fuŷe und Gerda Schmökel aus ihren
Biografien nutzen konnte. Die meisten Schlussfolgerungen und
Hintergrundbetrachtungen
sind von mir getroffen oder gemacht worden, um die Einzelfakten in den
richtigen Kontext zu bringen. |
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Copyright © Andreas Fehrmann – 3/2020, letzte Aktualisierung 25. November 2021